Zusatzgeschäft VoIP – Einfach verdientes Geld für ISPs?

Autor: Jörg Wiesner

Es klingt sehr verlockend: VoIP als Ergänzung der bestehenden Produktpalette. Zusätzlicher Umsatz mit bestehenden Kunden, Gewinnung neuer Kunden durch ein breiteres Angebot, erhöhte Bindung bestehender Kunden. Aber tatsächlich birgt die Einführung eines eigenen VoIP-Telefonie-Produktes für ISPs Risiken, die oft auf den ersten Blick nicht offensichtlich sind.

Das ISP-Geschäft heute

Das Hauptprodukt der ISPs ist und bleibt zunächst die Bereitstellung von Internetzugängen. Sei es klassisch über Dial-In-Lösungen, xDSL, Standleitungen (SFV) oder immer öfter auch per Funk.

Ergänzend zu diesen Kernprodukten bieten ISPs auch heute schon eine Vielzahl weiterer Produkte und Leistungen an, wie z. B. Housing, Hosting, Domain-Services oder E-Mail-Services.

VoIP als Ergänzung der Produktpalette

Die Ausweitung der Produkt- und Servicepalette um eigene Voice-Leistungen ist für viele ISPs ein naheliegender Schritt. Bestehenden Kunden kann auf diesem Weg eine weitere Leistung angeboten werden, die Kundenbindung steigt. Für potenzielle Neukunden können attraktive Gesamtpakete geschnürt werden.

Dabei existieren verschiedene Möglichkeiten, um das eigene VoIP-Produkt technisch zu realisieren. Die für einen Wiederverkäufer einfachste Variante ist der Bezug einer vollständigen Vorleistung: SIP-Account und VoIP-Terminierung aus einer Hand. Eine weitere Möglichkeit besteht im Aufbau eines eigenen SIP-Servers. In diesem Kontext wird ein VoIP-Carrier für die Zuführung und Terminierung der Gespräche benötigt, sobald das „interne Netz“ verlassen wird.

Komplexität der Abrechnung

Unabhängig von der technischen Realisierung bleibt eine Herausforderung bestehen: Die Abrechnung der geführten VoIP-Telefongespräche gegenüber den eigenen Kunden.
Grundlage der Abrechnung sind dabei entweder die CDRs (Call-Detail-Records) des terminierenden VoIP-Carriers oder die des eigenen VoIP-Switches. Auch wenn auf den ersten Blick die Tariflandschaft aufgrund von Flatrates überschaubar ist, so ergeben sich die Probleme im Detail. Neben Festnetzgesprächen müssen auch Gespräche ins Mobilfunknetz, zu Servicerufnummern und vor allem auch ins weltweite Ausland abgerechnet werden.

Da ISPs vor allem Geschäftskunden adressieren, kommt schnell eine enorme Menge an CDR-Einzelverbindungen zusammen. Der Aufwand für eine manuelle Tarifierung dieser Massendaten ist bei der geringen Marge je Telefongespräch nicht möglich. Auch kann die Korrektheit der Abrechnung so nur schwer sichergestellt werden. Die Gefahr ist sehr groß, die gerade neu gewonnenen Voice-Kunden durch falsche Abrechnungen zu verärgern. Der positive Effekt des neuen Produktangebots droht dann ins Gegenteil umzuschlagen.
Darüber hinaus ist der ISP als Anbieter einer Telekommunikationsleistung sowieso gesetzlich verpflichtet, eine jährliche Sachverständigenprüfung nach TKG §45g durchzuführen und das Prüfergebnis der Bundesnetzagentur zukommen zu lassen. Bestandteil der Prüfung ist eine Untersuchung der Systeme, Verfahren und technischen Einrichtungen, die für die Tarifierung zum Einsatz kommen.

Diese Verpflichtung hat für den ISP die Konsequenz, dass nur eine professionelle Rating-Lösung die fachlichen und gesetzlichen Anforderungen sinnvoll erfüllen kann. Gleichzeitig wird so einer potenziellen Verärgerung von Kunden aufgrund falscher Abrechnung entgegen gewirkt.

Lösungsansatz TK-BSS

Der naheliegende Ansatz für den ISP ist die Einführung einer auf diese Aufgabenstellung spezialisierten TK-Softwarelösung, oft „Business Support System“ (BSS) genannt. Diese Systeme decken alle Aufgaben ab von der Kunden- und Vertragsverwaltung, über Produkt- und Tarifdefinitionen, Rating, Billing, Rechnungsproduktion, bis hin zur Übergabe an die Finanzbuchhaltung.

Wie aus dieser kurzen Auflistung zu erkennen ist, steht das BSS im Zentrum aller Prozesse des TK-Anbieters und ist Integrationsplattform für alle angebundenen Systeme.
Die Einführung eines BSS ist vergleichbar mit der eines ERP-Systems im Handel oder dem produzierenden Gewerbe. In der Regel sind Anpassungen (Customizing) der Lösung, sowie Schulungen für die Mitarbeiter notwendig.

Der Einsatz einer solchen umfassenden Lösung bietet für Anbieter im TK-Markt sehr viele Vorteile, da es sich um eine spezialisierte Lösung für diese Branche handelt. Allerdings muss diese Lösung nicht zwingend der optimale Weg für einen ISP sein, der „nur“ VoIP einführen möchte.

Die Alternative: Rating als Dienstleistung

Denn der ISP betreibt sein Hauptgeschäft ja bereits erfolgreich, Softwarelösungen für CRM und Abrechnung sind i. d. R. schon eingeführt und erfüllen oft die bestehenden Anforderungen.

Die zusätzliche Systemanforderung „VoIP-Rating“ rechtfertigt nicht zwingend die Ablösung der bestehenden Softwaresysteme.

Eine kostengünstige und dennoch für den Einstieg vollkommend ausreichende Alternative ist daher das Rating der VoIP-CDRs als Dienstleistung zu beziehen. D. h. der ISP führt keine neue Softwarelösung ein, sondern übergibt die VoIP-CDRs einem Dienstleister, der die Tarifierung nach Vorgabe des ISP durchführt und das Ergebnis zurückliefert. Die so mit Endkundenpreisen versehenen Einzelgespräche können anschließend durch den ISP für die Rechnungsstellung verwendet werden.

Die Vorteile liegen auf der Hand:

– Keine Anschaffungskosten für Hard-/Software

– Sehr kurze Einführungsphase

– Keine aufwändigen Personalschulungen für ein BSS- oder Rating-System

– Skalierbarkeit bei wachsenden CDR-Mengen

– Unterstützung/Durchführung der jährlichen Zertifizierung durch den Dienstleister

Das Risiko für die Einführung von VoIP als Ergänzungsprodukt kann auf diesem Weg minimiert werden. Die Hürden der Abrechnungskomplexität und der notwendigen Automation sind genommen, der ISP kann sich somit ausschließlich auf die Vermarktung des neuen Produktes konzentrieren.

Weitere Links zu diesem Beitrag:

TKG §45g Verbindungspreisberechnung

Prognose zum Datenvolumen durch VoIP in Westeuropa von 2008 bis 2014 (in Petabytes)