Das Wissen der Anderen – Individuelle Eigenentwicklung versus Standard-Softwareprodukt

Autor: Alexander Kaczmarek

Gerade in der Belegschaft von TK-Anbietern sind häufig IT-Profis anzutreffen, die neben Ihrer Hauptqualifikation über zusätzliche Programmierkenntnisse verfügen. Schnell ist da eine Entscheidung zugunsten einer Eigenentwicklung getroffen als Alternative zur „out-of-the-box“-Standardsoftware. Doch neben den sichtbaren Vorteilen müssen auch die negativen Limitierungen und risikobehafteten Konsequenzen berücksichtigt werden.

Statt wie in anderen Branchen üblich, greifen viele Firmen aus dem TK-Umfeld nicht auf Standardlösungen zurück, sondern entscheiden sich oft ggf. vorschnell dazu, Softwarelösungen zur Abwicklung sogar stark reglementierter Geschäftsprozesse selbst zu implementieren.

Die Vorteile dieses Ansatzes erscheinen zunächst plausibel:

– Keine Abhängigkeit von einem Softwarehersteller

– Keine Anschaffungs- und Wartungskosten

– Schnellere Realisierung von Anpassungen

Vorrangiges Ziel: Kostensenkung

Das Ziel ist dabei klar definiert: eine passgenaue individuelle Lösung zu niedrigeren Kosten als durch Einsatz einer Standard-Software. Realisiert werden so durch interne IT-Abteilungen u. a. Lösungen zur Vertriebsunterstützung, Kundenverwaltung und Abrechnung, in extremen Fällen sogar Warenwirtschaftssysteme.

Erscheint zu Beginn des Vorhabens die zu erledigende Aufgabe sowohl vom Arbeitseinsatz als auch von den zu lösenden Problemen überschaubar, so muss doch von Anfang an der dauerhafte Betrieb berücksichtigt werden. Auch die zu erwartenden Kosten dürfen sich nicht nur auf die Erst-Implementation beschränken, sondern müssen über einen deutlich längeren Zeitraum betrachtet werden.

Risiken nicht außer Acht lassen

Im Kontext der Entscheidung für eine oder gegen Eigenentwicklung müssen somit zwingend auch folgende Aspekte vorab abgewogen werden:

– Aufbau einer eigenen dauerhaften Softwareentwicklung und -Betreuung

– Risiko der Abhängigkeit von den eigenen Softwareentwicklern

– Permanente Personalkosten für Aufrechterhaltung des Wissens

– Kein Profitieren an regelmäßigen Produktentwicklungen wie bei Standard-Software

– Notwendigkeit der individuellen Implementation jeder von außen vorgegebenen Änderung

– Kompromisse bei Funktionsumfang und Leistungsfähigkeit

Leicht nachzuvollziehen ist, dass die Lizenzkosten für eine Standard-Software immer geringer sind, als die Kosten für eine Neuentwicklung. Denn ein Softwarehersteller kann seine Implementations- und Wartungskosten auf alle Produktkunden verteilen. Bei einer Eigenentwicklung ist dies nicht möglich. Hieraus folgt, dass bei einer Eigenentwicklung immer Kompromisse eingegangen werden müssen bezogen auf Funktionalität, Komfort und generellen Leistungsumfang.

Handelt es sich nicht nur um ein kleines Software-Tool, sondern um eine komplexere Anwendung, so stehen nach dem Entschluss zur Eigenentwicklung direkt die nächsten Entscheidungen an: Welche Entwicklungsumgebung wird eingesetzt? Wie erfolgt die Versionsverwaltung? Wer sammelt die Anforderungen, ist zuständig für die Konzeption und die spätere Implementation?

Im weiteren Verlauf wird unternehmensintern sehr viel Wissen aufgebaut, sowohl bezogen auf den Entwicklungsprozess, die Anwendungsdomäne und die programmiertechnische Umsetzung. Dieses Wissen ist vor allem in den Köpfen der eigenen Mitarbeiter. Hier gilt es nun, das wertvolle Wissen auch zu bewahren, da ein Wegfall schwerwiegende Konsequenzen zur Folge hätte.

Werden Wettbewerbsvorteile erzielt?

Für die Bewahrung des wichtigen Spezialwissens muss das für die Softwareentwicklung zuständige Personal gehalten werden. Wichtig ist außerdem die Bereithaltung von Redundanzen, da ansonsten aufgrund von Urlaub oder Krankheit Probleme im laufenden Betrieb nicht beseitigt werden können. Im Fall von Personalabgängen muss die Redundanz erneut aufgebaut und das Wissen auf neue Mitarbeiter übertragen werden.

Fällt im schlimmsten Fall das gesamte Wissen um die Eigenentwicklung weg, weil beispielsweise mehrere Mitarbeiter zeitgleich den Betrieb verlassen, steht das Unternehmen vor einem sehr großen Problem, das nur sehr kostspielig beseitigt werden kann.

Im Vergleich mit Standard-Software muss darüber hinaus mit ins Kalkül gezogen werden, dass diese durch den Hersteller fortlaufend weiterentwickelt wird. Die Kunden profitieren kontinuierlich von neuen Funktionen und allgemeinen Verbesserungen. Gerade im Hinblick auf geänderte Rahmenbedingungen oder gesetzlichen Vorgaben, auf die der einzelne TK-Anbieter keinen Einfluss hat, ist das ein nicht zu unterschätzender Vorteil: Die gesamten Kosten für die Entwicklung trägt zunächst der Hersteller, auf den einzelnen Kunden werden diese jedoch nur anteilig übertragen.

Standard-Software wird weiterentwickelt

Hierbei ist nicht nur auf die eigentliche Implementation zu achten. Wie das Beispiel „SEPA“ zeigt, ist alleine die Einarbeitung in ein Themengebiet mit Identifizierung aller anzupassenden Systembereiche und -komponenten eine auch zeitlich nicht zu unterschätzende Herausforderung.

Die Einhaltung gesetzlicher Bedingungen gerade im TK-Umfeld ist ebenfalls zu berücksichtigen. Dies zeigt sich deutlich am Beispiel der jährlichen Begutachtung des Abrechnungssystems gemäß TKG §45g.

Fazit:

Gerade wenn die Eigenentwicklung nicht die eigene Kernkompetenz betrifft und somit kaum Differenzierungspotential bietet, muss bei der Existenz von passenden Softwareprodukten sehr genau abgewogen werden, ob eine eigene Implementation wirkliche Vorteile bietet und das Risiko rechtfertigt.

Daher sollten diese Punkte im Detail abgewogen werden:

– Vorteile gegenüber Wettbewerbern aufgrund Eigenentwicklung

– Gesamtkostenvergleich über mindestens 5 Jahre

– Doppelte Risikoeinschätzung

Als Faustregel kann hier gelten: Je standardisierter die Anforderung, desto sinnvoller ist die Anschaffung einer Standard-Softwarelösung.